Mezzogiorno / Land Without Shadows

Ich gehe aus von diesem Körper hier, dem jetzt Schreibenden, Unterklassenkörper nun alt genug um einen Generationensprung zu erfahren: eine prekäre Stelle. Ich will mich bescheiden, dem stetig anwachsenden Chor der Geister Räume bauen. Der Abwesenheit ihre Lieder. Wir werden uns verständigen müssen ob wir diese Lieder nicht nur nostalgisch klingen lassen wollen. Ich wollte mich bescheiden – wollte auch ein Diario Pandemico versuchen, im Sommer 2020.

Beschränke mich auf das was ich als besonderes Vermögen in der Beschäftigung mit Kunst erfahre: durch sich anmaßende Steuerung eines Aktes der Herstellung (Objekte, Selbste, Beziehungen) erstaunliche Effekte der Intensität, Zuspitzung oder gar Erkenntnis zu artikulieren. Mitteilung eventuell auch. Man (sic!) Körper erscheint dabei wie ein Rückkopplungseffekt und wird gerne als Quelle mißverstanden. Wir sind Viele. Wir stellen einander her. Und werden uns daran erinnern, einander nicht zu wichtig zu nehmen.

Wobei das Bild der Rückkopplung unterstellt einen Ort von dem aus hier jemand schreibt, die Richtungen allerdings sind schwer auszurechnen, wir flimmern, es pfeift. Es gibt vermutlich keine Zahl mit der die Grenze dessen was wir Intimität nennen festzulegen ist, es scheint eine Frage der Zahl ab wann wir von öffentlicher Sphäre sprechen, in eine solche sprechen, eine solche durch unser Sprechen, oder Schreiben, mit herstellen. Wie maße ich mir kräftige Stimme an? Mächtige. Wie zeigen wir uns einander, Summe aller Geister? Mit einander. Auch gegen. So werden wir singen: DIE DINGE DES MITTAGS. Und sie bauen.

Ich gehe aus von dem Maß, den Grenzen und den Quellen der Kontrolle unter der der Fluß der Sätze sich formiert. Ich denke in den Verfahren der bildenden Künste lassen sich gewisse Aspekte des zur Stimme findens, des Hörbar werdens erkennbar machen. Inklusive der Gewalt und der Unmaßverhältnisse, die oft in der Häßlichkeit der Worte, der Töne, sich zeigen – wobei wie wohl es hier zum Urteil kommt? Erstmal Stimmen hören machen, Stimmen der Unzahl, der Vielheit der Beteiligten, Stimmen der Dinge, der Körperlosen, Körperdinge. Im Bauen spring ich raus! Aus den Worten in denen ich so wenig  zu fassen vermag, so wenig euch zu sagen. (Der Versuch diese hier sich rächende Einverleibung von Rhetorik, Ideologie und Moral nachzuvollziehen, ist Teil des Programms.)

Mezzogiorno zeigt einen weiteren Versuch eine anthropologische/dokumentarische Praxis zu üben – Praxis im
sich Umhören und Begegnungen suchen im „Mezzogiorno“ (von San Cesario di Lecce bis Ferrandina). Durch
die limitierten Möglichkeiten wurde ein historisches Vorbild einbezogen. Die Filme und Schriften von Ernesto de Martino sind beeindruckende und weiterhin gern konsultierte Beispiele einer empathischen Untersuchung der Alltagskultur einer Region. Ich habe denen ein Repertoire entnommen und vor Ort nach ihren Überbleibseln gesucht: Rituale und Praktiken im alltäglichen Umgang, Gesänge und Sprüche, oft von Aberglauben und magischen Vorstellungen geprägt. Die Herausforderung ist wohl einmal mehr den mitgebrachten und evozierten exotistischen Projektionen zu widerstehen, dem verführerischen „Orientalismus“. So liegt die Versuchsanordnung nahe: Praktiken die von de Martino vor rund 60 Jahren festgehalten (in Film und Buch) wurden gesucht, angesprochen, ihre Reste und Reminiszenzen „ausgegraben“ und versucht diese zu beleben (Akteurinnen gleichermaßen wie Praktiken).

Was etabliert wird ist eine Kunst der Begegnung, Kunst des Zuhörens, geschärfte Empathie, einmal mehr. Das gesammelte Material ist nun Basis weiterer Versuche. Ein Beispiel wird hier in Skulpturen übersetzt, es betrifft einen Spruch mit dem die Bauern die Sonne anrufen wenn sie morgens das Feld betreten – anrufen und oft auch bitten um Linderung der (durch die Arbeit empfundenen) Schmerzen. „Falla Passa…“, „Lass vorbeigehen…“ wird diese Werkgruppe heißen, die soll die Köpfe heben. Der Spruch wurde in Fragmenten vor Ort noch gefunden und wiederaufgeführt. Wobei hier das Performative nachgeschärft werden soll, was bleibt ist so was wie ein materieller Kern, das Gestalthafte der Geste, auch der Versprachlichten und der Gebauten, wobei die Worte versagen (noch) das Gemeinte auszudrücken. Es krachen Körper. Die Anmut der Objekte soll den Umständen gerecht werden.

Der Gefahr einmal mehr die Stereotype bezüglich des „Südens“ zu bemühen gilt die Aufmerksamkeit. Der Konflikt wird als Schwelle empfunden, jene Schwelle an der der Begriff der Vernunft, der Aufklärung ins Spiel kommt. Geometrie und Abstraktion drängen sich auf um der angedeuteten Schwelle in der Sprache der gebauten Welt gerecht zu werden. Das wird in der sich entwickelnden Serie gleich aufgenommen, diskutiert und umgesetzt. So wurden die ereignishaften, singulären Performances fürs Erste in vermeintlich allgemeinere Zeichen übersetzt, die allerersten unter den „üblichen Verdächtigen“: Mensch, Kreis, Ewigkeit – hier ausgedrückt als prekäre, provisorische Gestalten, die doch eine Idee verkörpern. Der Mensch in dem Fall nichts mehr als eine Art verzerrter um Gestalt ringender Idealkörper?

(Die Vereinfachungen seien verziehen, wobei die Sprache der Skulptur oft eine Art Schmerz der Vereinfachung mitbringt. Fange eben an zu verstehen wie künftig man noch näher rankommt an einen Ausdruck der „Gewalt der Geometrie“. Erhoffe mir mich anzuschließen an die Offenbarungen bezüglich der dunklen Seiten der Aufklärung, etc.) So sollen und werden sie also „geistern“, die Subjekte die wohl nur in den Projektionen jener je existierten, die das Privileg haben Subjekt auch sich selbst unterstellen zu vermögen. Aber lasst mich das gleichmal deutlicher sagen! Zeigen.

  • 1)  Durch die leere Mitte stürzt: Mensch, 2020 Holz, Karton, Papier, Schnur, Ösen
  • 2)  Falla Passa, Testa, in Arbeit
  • 3)  Durch die leere Mitte stürzt: Kreis, 2020 Holz, Karton, Papier, Schnur, Ösen
  • 4)  Durch die leere Mitte stürzt: Ewigkeit, 2020 Holz, Karton, Papier, Schnur, Ösen
  • 5)  Falla Passa, Sole, in Arbeit

In Frage steht das moderne, aufgeklärte, „westliche“ Individuum, die Ideen und Mächte hinter dessen Aufstieg. So weit nichts Neues. Entwickelt wird hier eine Methode wie man diesbezüglich den vermeintlich eigenen, verzogenen, Körper in die Schlacht wirft, oder weniger martialisch: in die Frage und den Zweifel wirft – in Konfrontation und auch unter selbstlosen Zusammenschluß mit anderen Körpern, Ausdrucksweisen von (noch nicht und nicht mehr) Körpern.

Furiose Übersetzungsarbeit soll hier entstehen. Tendenziell von Äußerungen denen durch ihre Marginalisierung meist kein Übersetzungswert zugeschrieben wird. Vor den Stimmen noch: Geräusche. Aufzulösen sind die Abgrenzungen und Festlegungen, im Raum wie in der Zeit, 60 Jahre sind ein Tag, sind zu unterbrechen. „Falla Passa…“, „mach sie vorbeiziehen…“, nicht nur die Schmerzen. Ein Grenzgang hin zum Verlieren des Verstandes und dann aber wieder behaupten ein Bericht ließe sich schreiben. Eine Ausstellung ließe sich bauen! So hoffe ich. Hoffen wir. Eine Fortsetzung drängt sich auf, um der Zukunft gerecht zu werden, auch um den Anteil der Technologie gerecht zu werden, diesbezüglich wird an Geometrie und Geste demnächst weiter (ab)gebaut – die Erbauerinnen vom Bau verschluckt. Mehr als gefeiert.


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